Okay, es ist eher eine Wahlkampfanalyse. Aber ich veröffentlich den ersten Teil bewusst vor dem Wahltag, denn so kann ich meine Einschätzung zum Wahlkampf noch völlig unabhängig von den effektiven Resultaten abgeben.

Die Ausgangslage

Ich wurde Mitte Januar angefragt, ob ich mich als Nationalratskandidat zur Verfügung stellen würde. Dies war rund ein Monat vor der Nominationsversammlung, insofern war mir klar, dass vor mir verschiedene andere Personen angefragt und offenbar abgesagt haben. Da ich als Präsident der Stadtsektion sowieso sehr aktiv und an den meisten Veranstaltungen bin, schien mir der zusätzliche Zeitaufwand überschaubar. Der effektive Wahlkampf dauert sowieso «nur» ab Ende Sommerferien bis anfangs Oktober, also rund 6-7 Wochen. Zudem wollte ich natürlich gerne meinen Beitrag leisten, dass die FDP Zug ihren Nationalratssitz behalten kann.

Die Zusammensetzung der beiden Listen erwies sich dann als sehr ausgewogen: 2 Frauen, je 2 Vertreter der Berggemeinden, vom Ennetsee und der Stadt Zug, je 3 Personen über bzw. unter 40. Meine Rolle war somit klar, ich sollte die jüngeren, urbanen Wähler ansprechen. Die Konstellation ergab, dass ich auf der Liste «FDP Zug Ost» mit dem bisherigen Nationalrat Bruno Pezatti und der Kantonsrätin Gabriela Ingold platziert wurde. Platz 3 und letzter Listenplatz mag nicht vielversprechend klingen, aber bei nur 3 Listenplätzen ist die Platzierung nicht ganz so entscheidend.

Womit wir bei den Wahlchancen sind. Alle drei bisherigen Nationalräte treten in Zug wieder an. Bisherige Amtsinhaber werden zumeist wiedergewählt, so dass es neue Kandidaten per se schwer haben, wenn es keine Vakanz gibt. Mehr Stimmen zu machen als unser bisheriger FDP-Nationalrat wäre also sehr ambitioniert. Dass die FDP einen zweiten Sitz macht, wäre zwar wünschenswert, ist aber illusorisch. Rein realistisch gerechnet musste ich also meine Wahlchancen als sehr gering einschätzen.

Was hat mich denn motiviert? Hauptsächlich natürlich, meinen Beitrag zu leisten, dass die FDP Zug ihren vor vier Jahren gewonnenen Sitz behalten kann. Aber für mich war auch ganz klar, dass ich nicht nur Listenfüller sein will, sondern einen aktiven persönlichen Wahlkampf führen will. Erstens ist dies meine Art, ich kann nicht anders. Zweitens ist eine Nationalratskandidatur auch eine Plattform, um sich für andere Ämter und Mandate zu empfehlen. Und drittens wird der Nationalrat im Proporzsystem gewählt, es besteht also die theoretische Chance auf ein Nachrutschen.

Meine Hypothesen

Schnell habe ich mich entschieden, dass sich mein Wahlkampf deutlich von den 0815-Massnahmen der meisten Kandidaten unterscheiden soll. Natürlich gibt es die Basispräsenz wie Plakate, Inserate etc., welche von der Partei organisiert wird. Aber ich wollte weder selber Geld in die Finger nehmen für solche klassische Werbemittel, noch hatte ich vor, 2x pro Woche am Bahnhof Give-Aways zu verteilen. Wenn ein potentieller Wähler nur an meinem Flyer interessiert ist, weil ich ihn mit einem Gipfeli besteche, ist dies meines Erachtens nicht nachhaltig.

Schlussendlich basierte mein Wahlkampf auf folgenden Hypothesen:

  • Plakate und Inserate sind viel zu teuer und bringen zu wenig.
  • «Die Leute auf der Strasse ansprechen» klingt gut, ist aber ineffizient. Der Streuverlust ist viel zu hoch, da ein Teil eh nicht wählen kann, sicher nicht FDP wählt, am Schluss gar nicht wählt etc.
  • Die Wahrnehmung der nationalen, kantonalen und städtischen Partei geschieht über Jahre hinweg und beeinflusst das Wahlverhalten viel viel mehr als jegliche Aktionen im Wahlkampf.
  • Die meisten Wähler sind Profilwähler: Für sie kommen 2-3 Parteien in Frage und dann entscheiden sie abhängig vom Profil, wen sie wählen. Beruf, Alter, Geschlecht, Foto etc. sind viel wichtiger als jegliche Marketingmassnahme.

Der Marketing-Mix

Wenn ich also schon die jungen, urbanen Wähler ansprechen sollte, dann fiel die Wahl natürlich auf Online-Werbung, insbesondere Social Media. Ich habe diverse Überlegungen angestellt, wie ich Google AdWords verwenden könnte, ging aber davon aus, dass zu wenige Personen aktiv nach Begriffen wie Wahlen, Kandidaten, Zug etc. suchen würden. Instagram und Twitter sind zwei spannende Plattformen, aber ein Targeting auf den Kanton Zug ist (war) nicht möglich.

So entschied ich mich, auf Facebook als Werbeplattform zu setzen. Folgende Argumente sprachen unter anderem dafür: Hohe Durchdringung, Targeting möglich, optimalerweise Interaktion und Viralität, tiefe Kosten. Zusammen mit meinem kleinen Wahlkampf-Team haben wir verschiedene Ideen gewälzt, was ich alles auf Facebook tun könnte. Das meiste fiel aus Ressourcengründen (Zeit, Geld) weg. Ab März 2015 war ich dann mit der eigenen Facebook-Seite «Patrick Mollet in den Nationalrat» online. Ich entschied mich dafür, eine eigene Seite aufzusetzen, da ich so meine private Präsenz und die Präsenz als Kandidat trennen konnte. Zudem sind Werbeanzeigen nur mit Seiten und nicht mit privaten Profilen möglich.

Ich wollte auch so früh wie möglich mit verschiedenen Aktivitäten beginnen, um bis zum Hauptwahlkampf ein aktive Community aufgebaut zu haben. Nebst vereinzelten Posts startete ich mit einer Teaser-Kampagne: Ich machte verschiedene Selfies im Kanton Zug, platzierte eine prägnante Aussage dazu und fragte «Wahrheit oder Lüge?». Die Antwort dazu gab es auf meiner Wahl-Website, ich wollte also möglichst viele Personen auf meine Website holen. Während ein paar Wochen publizierte ich jeweils 2 Bilder pro Woche. Der Erfolg war jedoch überschaubar und vor allem nahmen die Klicks stetig ab. Hier zeigt sich mit der Messbarkeit ein wichtiger Vorteil von Online-Marketing, so dass datengestützt Entscheide getroffen werden können.

Die Analyse der Besucherzahlen zeigte mir auch, dass die eigene Website nur eine untergeordnete Rolle spielen würde. Zwar konnte ich via bezahlter Facebook-Werbung rund 100-150 Besucher pro Woche auf die Website bringen, organisch (also ohne Werbung) waren es aber nur rund 30-40 Personen. In den letzten drei Wochen des Wahlkampfs stieg diese Zahl dann (ohne Werbung) auf rund 80 Personen pro Woche an. Entsprechend reduzierte ich auch meine investierte Zeit für die eigene Website.

Facebook als erste Wahl

Facebook als Werbeplattform hat aber in der Tat sehr gut funktioniert. Meine Nationalratsseite hat zwar nur 148 Likes generiert, aber es braucht wohl viel, dass man die Seite eines Politikers liked. Aber der virale Effekt hat wunderbar gespielt. Jeder Kommentar und jeder Like zu einem Artikel wurde den Kontakten der Person im Activity Stream angezeigt und dies hat sehr viele Personen auf meine Facebook-Seite gebracht, ohne dass sie meine Seite liken mussten.

Der absolute Überflieger war ein Foto von der Streethockey-WM mit meinem Kommentar, dass ein solcher toller Event herauskommt, wenn der Staat die Privaten machen lässt. Ich habe ihn als Sponsored-Beitrag auf Facebook ausstrahlen lassen, womit ich 1’960 Personen erreicht habe. Insgesamt haben aber 32’458 Personen diesen Beitrag gesehen und über 17’085 haben auf den Artikel geklickt. Gekostet hat mich diese Aktion übrigens $47,24.

Facebook-Post zur Streethockey-WM

Generell gut funktioniert haben Links zu aktuellen Zeitungsartikeln und einem pointierten Kommentar dazu. So konnte ich (im Unterschied zu Plakaten etc.) auch ganz konkrete, fassbare Inhalte kommunizieren. Fast jeder dieser Artikel hat über 1’000 Personen erreicht, selbst wenn ich ihn ohne zusätzliche Bezahlung publiziert habe. Insgesamt habe ich über Facebook während meines Wahlkampfs mit meinen Posts 80’162 Personen erreicht. Und dies notabene sehr fokussiert, denn mittels Targeting konnte ich bestimmen, dass die bezahlten Artikel nur im Kanton Zug ausgestrahlt werden sollen. Gekostet hat mich der gesamte Wahlkampf auf Facebook (nebst Zeit) $652.76. Zum Vergleich: Ein einmaliges Inserat in der Grösse 200x40mm in der Zuger Zeitung (Auflage: 17’398 Exemplare) kostet CHF 480.

Nun wird sich morgen weisen, ob meine Hypothesen richtig waren. Ich muss mir auf jeden Fall nicht vorwerfen lassen, nicht aktiv gewesen zu sein. Mein Wahlkampf wurde vom Chefredaktor der Zuger Zeitung sogar als «ambitioniert» gelobt. Ich habe den Wahlkampf für mich bewusst als Experiment angelegt, von dem ich mir wichtige Erfahrungen erhoffe und von dem insbesondere die Partei profitieren soll. Welche Form des Wahlkampfs funktioniert im Jahr 2015? Denn in 3 Jahren stehen die nächsten Wahlen an, in etwas mehr als 1 Jahr beginnen dort die Vorbereitungen. Habe ich die richtigen Personen erreicht? Konnte ich mir mit meinen Massnahmen ein Profil aufbauen, das die Wähler anspricht? Und geht dann meine Zielgruppe auch tatsächlich wählen? Morgen Sonntag werden wir es wissen!