Das Ziel des inzwischen verstorbenen Hans Rosling, seines Sohnes und seiner Schwiegertochter ist es, unsere Diskussionen und Entscheide zu versachlichen und mit Fakten zu untermauern. Ursprünglich gingen sie davon aus, dass die Fakten lediglich leicht verständlich aufbereitet werden müssen. Bald aber mussten sie feststellen, dass das Weltbild der Menschen verhindert, Sachverhalte objektiv einzuschätzen und Fakten zu berücksichtigen. Um dies zu demonstrieren, haben sie 13 Fragen zum Zustand der Welt entwickelt. Zu jeder Frage gibt es drei Antworten, wobei zumeist zwei Antworten schlecht bzw. negativ sind und eine gut/besser bzw. positiv. Diese Fragen haben sie über die Jahre Tausenden von unterschiedlichen Personen auf der ganzen Welt gestellt. Erstaunlicherweise waren die Antworten ungeachtet von Ausbildung, Wohnort, Alter etc. überall gleich falsch, was von einer beunruhigenden Unwissenheit zeugt.

10 Gründe, weshalb wir die Welt falsch einschätzen

Die meisten unserer Diskussionen über den Zustand der Welt basieren auf einem Jahrzehnte alten Weltbild. In diesem Weltbild gibt es ein «Wir» (die entwickelten Länder) und ein «Die» (die Entwicklungsländer) mit einer grossen Lücke dazwischen. Die Realität heute sieht aber anders aus. Die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt bezüglich verschiedenster Indikatoren in der Mitte. Dabei sind weniger geografische und kulturelle Unterschiede auszumachen, sondern die Unterschiede stammen hauptsächlich vom Einkommensniveau. Eindrücklich demonstriert dies die Website «Dollar Street», welche 264 Familien in 50 Ländern porträtiert und zeigt, dass Leute mit ähnlichem (kaufkraftbereinigtem) Einkommen überall auf der Welt einen ähnlichen Lebensstil haben.

Neben diesem Gap-Instinkt macht uns auch der Negativitätsinstinkt zu schaffen. Unsere Erinnerungen sind generell besser, als es früher tatsächlich war, und wir haben laufend den Eindruck, dass heute irgendwie alles schlechter sei. Gute Neuigkeiten und graduelle Verbesserungen werden zudem von den Medien nicht berichtet. Zudem gehen wir immer von linearen Entwicklungen aus (The Straight Line Instinkt) und haben Mühe, exponentielle Veränderungen zu verstehen. Das Bevölkerungswachstum wird sich beispielsweise auf jeden Fall abschwächen, weil Millionen von Frauen nun Zugang zu Bildung und Verhütungsmitteln haben und die Kindersterblichkeit massiv zurückgeht, so dass deutlich weniger Kinder gezeugt werden.

Wenn wir über die Entwicklung der Welt sprechen, kommt oft der Fear-Instinkt zum Tragen. Im Angstzustand sind wir aber unfähig, Informationen korrekt zu verarbeiten. Dies sorgt dafür, dass wir Informationen nur selektiv wahrnehmen und einzelne Fälle überbewerten. Dies gilt insbesondere für Seuchen und Krankheiten. Aber erschreckend ist nicht gleich gefährlich. Auch dem Size-Instinkt müssen wir entgegenwirken: Die Autoren raten, nie eine Zahl ohne Vergleichszahl zu analysieren. Zahlen alleine können gross und bedrohlich wirken. Aber wie sieht es im historischen Vergleich aus oder verglichen mit anderen Ländern etc.? Hilfreich ist es auch, Zahlen zu teilen (z.B. pro Kopf), um sie in Kontext zu setzen.

Vermeintlich hilfreich ist unser Generalisierungsinstinkt: Wir denken gerne in Kategorien und Klischees, weil dies viel einfacher ist. Es ist praktischer, vom entwickelten Westen und dem grossen Rest der Welt zu sprechen, als die Situation differenziert zu betrachten. Zudem schliessen wir rasch von einem Beispiel auf eine allgemeine Aussage über Länder und Kulturen. Gleichzeitig schlägt dann noch der Destiny Instinct zu: Wir glauben, dass die Zukunft von Gruppen inhärent und vorgegeben sei («war schon immer so, wird immer so sein»). Kultur und Werte hängen aber wie erwähnt primär vom ökonomischen Fortschritt ab. Viele Länder entwickeln sich zwar langsam, aber auch kleine Veränderungen jedes Jahr summieren sich.

Gerade Experten tendieren aufgrund des Single Perspective Instinkts dazu, alles aus ihrer Optik alleine zu analysieren. Es gibt jedoch nie nur eine Sicht. Wenn man nur einen Hammer zur Verfügung hat, dann ist jedes Problem ein Hammer. Vielmehr sollten wir versuchen, einen Werkzeugkasten zu verwenden, statt immer nur den Hammer. Auch verlassen wir uns gerade heute in Zeiten von Big Data zu stark auf Statistiken. Zahlen helfen zwar für das Verständnis, sind aber nicht ausreichend.

Egal ob Dinge gut oder schlecht laufen, der Blame Instinkt führt zum Reflex, Einzelpersonen für schlechte Dinge verantwortlich zu machen. In Realität sind es aber meistens komplexe Umstände. Dieser Reflex verhindert, dass wir das System als Ganzes analysieren und dem wirklichen Problem auf den Grund gehen. Das Gleiche gilt für den Urgency Instinkt, der vor allem Politiker befällt: Nicht aufgrund von einzelnen Daten in Panik geraten, sondern das ganze System analysieren und die Nebenwirkungen beachten.

Die Welt ist gleichzeitig besser und schlecht

Gerade in politischen Diskussionen stelle ich immer wieder beängstigende Stereotypen fest, die wenig bis nichts mit der Realität zu tun haben. Konservative Politiker tun so, als ob wir eine kleine Gruppe von Eliten seien und unser Land vom parasitären Rest der Welt beschützt werden muss. Linke Politiker läuten dauernd die Alarmglocke und wollen uns weismachen, die Welt werde immer schlechter und niemand würde etwas dagegen tun. Interessant sind die Überlegungen aber auch für die Wirtschaft. Die allermeisten Unternehmen ignorieren, dass in Asien und Afrika gerade Milliarden von Menschen in die Mittelschicht kommen und über ein Einkommen verfügen, wo es nicht mehr nur um das Sichern des Grundbedarfs geht. Dieses Marktpotential wird komplett unterschätzt.

Der Autor war definitiv kein grenzenloser Optimist und tritt auch nicht als Moralapostel auf. Ihm und den Co-Autoren ist es wichtig aufzuzeigen, dass die Welt gleichzeitig besser ist als früher, aber in vielen Aspekten immer noch schlecht.

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