Angefangen hat es mit dem Fernseher: Als meine Partnerin und ich damals zusammenzogen, hatten wir beide in unseren vorherigen Wohnungen/WGs keinen eigenen Fernseher. Entsprechend hätten wir uns zusammen einen neuen kaufen müssen. Dies hatte aber gerade nicht oberste Priorität und irgendwann bestand überhaupt kein Bedarf mehr für einen Fernseher. Unsere Tage waren auch ohne Fernseher gut ausgefüllt und im Prinzip hätten wir auf bestehende Aktivitäten, Hobbys etc. verzichten müssen, um Zeit zum Fernsehen zu finden. So weit so gut, dieser Entscheid war also eher zufällig und nicht weil wir etwas fundamental gegen das Fernsehen hätten.

Interessanterweise fiel dies aber sehr vielen Besuchern auf und wir wurden immer wieder darauf angesprochen. Als ich jeweils antwortete, dass wir gar keine Zeit zum Fernsehen hätten, kam unisono folgende Reaktion: «Ach weisst du, ich schaue eigentlich auch praktisch nie fern.» Irgendwie entstand also gleich ein Rechtfertigungsreflex.

Weiter ging es mit dem Auto. Auch der Entscheid gegen ein Auto war ein reiner Vernunftsentscheid, da wir beide immer in der Stadt wohnten und in der Stadt arbeiteten. Ich brauche häufig ein Mobility-Auto und am Wochenende mieten wir regelmässig ein Auto für unsere Ausflüge. Ich habe also überhaupt nichts gegen Autos. Und trotzdem: Sobald ich jemandem erzähle, dass ich noch nie ein Auto besessen habe, folgt wieder diese Reaktion: «Eigentlich bräuchte ich mein Auto ja auch gar nicht und es steht mehrheitlich nur rum.»

Aller guten Dinge sind drei (und deshalb hat es mich auch zu diesem Blogartikel inspiriert): Vor ein paar Monaten habe ich entschieden, unter der Woche keinen Alkohol mehr zu trinken. Ich bin praktisch jeden Abend unterwegs, sei es beim Sport, mit Freunden oder für die Politik. Und eigentlich gehört immer irgendwie Alkohol dazu: Ein paar Bierchen nach dem Squash, ein paar Gläser Wein zum Essen oder der Apéro bei der Parteiversammlung. Kombiniert mit intensiven Arbeitstagen und wenig Schlaf wurde mir dies einfach zu viel. Da ich keine Disziplin habe und nicht nur 1 Bier trinken kann, habe ich mir eben vorgenommen, unter der Woche keinen Alkohol mehr zu trinken. Aber auch hier wieder die übliche Reaktion: «Eigentlich trinke ich ja auch fast keinen Alkohol unter der Woche.»

Ich kann mir dieses Phänomen nur mit der sozialen Erwünschtheit erklären, die man aus der empirischen Sozialforschung kennt: Die Leute antworten so, wie sie glauben antworten zu müssen, um «richtig» zu antworten. Alle drei Entscheide (Fernseher, Auto, Alkohol) waren völlig persönlich und mir ist es wirklich egal, was andere tun. Entsprechend würde ich auch nie versuchen, jemanden davon zu überzeugen. Aber trotzdem haben meine Gegenüber offenbar das Gefühl, dieses Verhalten sei erwünscht und sie müssten mir zustimmen.